Eingabehilfen öffnen

2025: Ministerin Scharrenbach (CDU) möchte Denkmalschutz in NRW erheblich einschränken

Kurz vor der Sommerpause Mitte Juli 2025 legte die NRW-Ministerin für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung des Landes Nordrhein-Westfalen dem Parlament einen Entwurf zur Änderung der Landesbauordnung 2018 vor, dem zentralen Gesetz des nordrhein-westfälischen Baurechts. Parallel dazu lud sie mit kurzer Frist von ihr ausgewählte Verbände zu einer Anhörung während der Schulferien ein; die DGUF war nicht eingeladen. Anlass für die Novellierung der Landesbauordnung ist die "Rahmenrichtlinie Gesamtverteidigung" (RRGV) der Bundesregierung, die in die Landesverwaltungspraxis umzusetzen sei, also irgendwas mit Sicherheitspolitik, Verteidigung, DIN-Normen. Als Archäologe mit wenig Zeit und vielen Aufgaben wird man denken, "geht mich nichts an" und weiterklicken – und dieser Effekt ist wohl auch beabsichtigt oder zumindest willkommen. Denn ziemlich weit hinten im Entwurfstext findet sich "Artikel 2: Änderung des Denkmalschutzgesetzes" mit gravierenden Eingriffen in das Bisherige. Wie kann aus der Änderung des einen Gesetzes auch die Änderung eines weiteren Gesetzes folgen? Das ist zulässig und nennt sich "Omnibusverfahren"; es kommt in Parlamenten dann zum Einsatz, wenn ein zu regelnder Sachverhalt mehrere bisherige Gesetze betrifft.

In das Denkmalschutz NRW sollen Ausnahmeregelungen eingebaut werden

Das DSchG NRW soll in § 1 ergänzt werden um einen ebenso weitreichenden wie undefinierten Ausnahmetatbestand: "Dieses Gesetz [gemeint ist das Denkmalschutzgesetz NRW, Anm. DGUF] gilt nicht für Anlagen, die der Landes- oder Bündnisverteidigung, dem Katastrophenschutz, der Unfallhilfe oder die der Abwehr sonstiger außergewöhnlicher Ereignisse zum Schutz der Bevölkerung [...] dienen."

Im § 21 DSchG NRW "Aufbau, Aufgaben und Zuständigkeit der Denkmalbehörden" möchte sich die Ministerin außerdem ermächtigen, und zwar ganz ohne Bezug auf den Anlass "Rahmenrichtlinie Gesamtverteidigung" (RRVG): "Die Oberste Denkmalbehörde [d.h. die Ministerin; Anm. DGUF] kann durch Verordnung einzelne Zuständigkeiten nach diesem Gesetz abweichend regeln, wenn eine Abweichung von der örtlichen oder sachlichen Zuständigkeit aus Gründen einer ausgewogenen Verteilung von Verfahren oder besonderen Sachgründen geboten ist. Sie kann Zuständigkeiten nach diesem Gesetz an sich ziehen; in diesen Fällen gilt § 24 Absatz 6 Satz 2 nicht."

Als dritte schwerwiegende Änderung soll in DSchG NRW § 23 "Denkmalliste" eine Ausnahmeregelung eingefügt werden: "Abweichend zu Satz 1 kommt einem Denkmalfachamt kein Antragsrecht bei Liegenschaften des Landes Nordrhein-Westfalen oder des Bundes sowie Hochschulen in Trägerschaft des Landes, Universitätskliniken und Studierendenwerken zu."

Zusammengefasst: der Landesbesitz wird vom Denkmalschutz umfassend ausgeklammert, und die Ministerin kann künftig ohne Anhörung der Fachbehörden und -ämter autonom entscheiden. Der von der Ministerin vorgelegte Gesetzesentwurf beschreibt in der Einleitung (Tl. A) wie in der Gesetzesbegründung (Tl. C) diese drei Änderungen zwar, gibt aber keine inhaltliche Begründung für diese schwerwiegenden Eingriffe in das bisherige Verfahren. Statt dessen heißt es apodiktisch: "Die beabsichtigte Regelung dient insbesondere den Anforderungen der RRGV" – ohne dass dieser behauptete Zusammenhang dem interessierten Leser ersichtlich wird. Die Ermächtigung der Ministerin wird überhaupt nicht auf Maßnahmen im Verteidigungs- oder Katastrophenfall begrenzt, auch nicht auf Denkmale im Landeseigentum. Würde das Gesetz wie vorgesehen geändert, könnte die Ministerin faktisch in jedem Fall, bei dem sich ein "besonderer Sachgrund" herstellen lässt, alleine und ggf. gegen das Votum der Denkmalbehörden entscheiden, das Denkmal vom Denkmalschutzgesetz auszunehmen.

Scharfe Kritik von Deutscher Stiftung Denkmalschutz und weiteren Fachverbänden

Die Deutsche Stiftung Denkmalschutz hat den Gesetzentwurf in einer öffentlichen Stellungnahme am 21.8.2025 scharf kritisiert: Den eigentlichen, längst bestehenden Aufgaben im Rahmen der Landesverteidigung komme das Ministerium weiterhin nicht nach, d.h. der Erfassung, Inventarisation und Kennzeichnung des nach der Haager Konvention besonders zu schützenden Kulturguts. Die jetzt geplanten Ausnahmeregelungen im Rahmes des Katastrophenschutzes könnten nach allen bisherigen Erfahrungen "große denkmalgeschützte Bauten wie Klöster, Villen und andere historische Großbauten betreffen, die etwa als Lagezentrum, für die Beherbergung und Betreuung von Betroffenen, die Versorgung mit Lebensmitteln und Wasser, sowie die Unterbringung von evakuierten Personen herangezogen werden können. Ob auch daran gedacht ist, geeignete Denkmale oder Teile von ihnen als Schutzräume zu ertüchtigen, bleibt aufgrund der unkonkreten Formulierungen offen." Und weiter: "Durch eine ergänzend und völlig ohne Bezug zur Rahmenrichtlinie Gesamtverteidigung gleich mit auf den Weg gebrachte Möglichkeit, künftig ohne Begründung jedes Verfahren zum Schutz von Denkmalen an sich ziehen zu können, entscheidet über Schutz oder Abriss dann allein – die Ministerin. Offensichtlich soll eine Grundlage dafür geschaffen werden, auf dem Verfahrensweg Entscheidungen und Projekte ohne Widerspruchsmöglichkeit Dritter durchzusetzen. Wurden bei der letzten, kurz vor der Landtagswahl 2022 eingebrachten Novellierung des Denkmalschutzgesetzes NRW die Bedeutung der Denkmalfachbehörden bereits marginalisiert, werden sie nun insbesondere für Landesliegenschaften völlig ausgeschaltet."

Der Rheinische Verein für Denkmalpflege und Landschaftsschutz e.V. schreibt, es entstehe der Eindruck, dass die Landesregierung "die RRGV instrumentalisiert, um dem Ministerium für Heimat, Kommunales, Bau und Digitalisierung als Oberster Denkmalschutzbehörde unkontrollierten Zugriff auf die Denkmäler zu geben – über die Rechte der Kommunen hinweg. Dies wäre ein beispielloser demokratischer Rückschritt und eine Abkehr von jahrzehntelanger erfolgreicher Kultur- und Landespolitik für Denkmal- und Naturschutz in NRW."

ICOMOS Deutschland hält die geplanten Änderungen in seiner Stellungnahme vom 22. 8. sogar für verfassungswidrig.

Weitere Verbände und Vereine, die im Denkmalschutz tätig sind, haben bzw. werden ähnlich kritische Stellungnahmen ins Ministerium übermitteln: der Westfälische Heimatbund, Blue Shield, usw. Die DGUF hat am 26. 8. eine Stellungnahme an den Landtagspräsidenten, die Fraktionen und Ausschussvorsitzenden übermittelt.

DGUF: Auch die Bodendenkmalpflege ist betroffen!

Dass die Änderungen, die mit der Kontextualisierung in einer "Landesbauordnung" scheinbar vor allem die "lästige" Baudenkmalpflege im Blick haben, auch die Archäologie / Bodendenkmalpflege gravierend betreffen, ist offensichtlich. Die für DSchG NRW § 21 geplante Ermächtigung der Ministerin, Verfahren jedweder Art an sich zu ziehen und im Alleingang zu beschließen, betrifft auch alle Bodendenkmäler und Archäologie-Verdachtsflächen – wie bei der Baudenkmalpflege nicht nur die in Landesbesitz. Damit könnte die Ministerin Zuständigkeiten für alle Denkmale in NRW – also auch kommunale, private, kirchliche etc. – an sich ziehen oder per Verordnung umverteilen.

Das geplante völlige Herausnehmen von Landesbesitz aus dem Denkmalschutz hat erhebliche Flächenwirksamkeit; beispielweise befinden sich 15 % des Waldes in NWR in Landes- und Bundesbesitz. U.a. ist das weitgehend der "Reichswald" am Niederrhein, das größte Waldgebiet in NRW, in dem sich prähistorische Ackerfluren, hunderte Hügelgräber und Spuren des niedergermanischen Limes befinden – in jenem Reichswald sollen nun Windkraftanlagen errichtet werden, und ein dermaßen umgestaltetes Denkmalschutzgesetz würde es ermöglichen, dies ohne jede archäologische Untersuchung zu tun.

Denkmalschutz künftig: Pflichten und Lasten für Private wie bisher, der Staat gönnt sich Ausnahmeregelungen

Die Konsequenz der angestrebten Ermächtigung der Ministerin: Jeder Privateigentümer, jeder private Investor unterliegt – wie vom Gesetzgeber gewollt – auch künftig u.a. dem Denkmalschutzgesetz und hat die vorgesehenen Antrags- und Genehmigungsverfahren zu durchlaufen, in deren Kontext er z.B. beauflagt werden kann, im Rahmen des Zumutbaren die Grabungskosten zu tragen. Außer, so würde es künftig heißen, das Bodendenkmal liegt auf Landesbesitz. Außer, der Investor hat einen guten Draht ins Ministerium, und die Ministerin entscheidet nach dem vorgesehenen neuen § 21(6) DSchG NRW direkt und persönlich, ohne die Denkmalschutzbehörden und das Fachamt anhören zu müssen. Die handfesten Denkmalverluste sind absehbar. Und: wie wirkt es auf die Stimmung, Haltung und Moral betr. Denkmalschutz in der breiten Bevölkerung, wenn alle Bürger sich zum Nutzen des Gemeinwohls mit Auflagen herumplagen müssen, nur die öffentliche Hand nicht, die sich eine pauschale Ausnahmeregelung gönnt?

Nicht zuletzt: wie steht es um die gebotene Transparenz? Jede Entscheidung und Auflage der Unteren und Oberen Denkmalschutzbehörde sowie der Fachämter erfolgt transparent, kann von Bürgern eingesehen und auch rechtlich angefochten werden. Wie und wo hingegen wird nachvollziehbar ersichtlich, wenn die Ministerin als Oberste Denkmalschutzbehörde nach dem geplanten neuen § 21(6) DSchG NRW kraft Ministerentscheid ein Boden- oder Baudenkmal aus dem Denkmalschutz herausnimmt?

Die Schwächung des Denkmalschutzes als Wahlargument

Am 14. September 2025 finden Kommunalwahlen in NRW statt. Im Wahlprogramm der CDU NRW liest sich das Geplante so: "Wir machen noch mehr Tempo bei Planung, Genehmigung und Bau von Straßen, Brücken und Radwegen. Für einen starken Mittelstand wollen wir bundesweit die schnellsten Genehmigungsverfahren und Planungsprozesse ohne überflüssige Bürokratie." Wir sagen: ein durchsichtiges, populistisches Manöver, wohl begründete und rechtlich überprüfbare denkmalschutzrechtliche Auflagen als "überflüssige Bürokratie" abzutun. Der Begriff "Bürokratie" meint jene staatliche Verwaltung, welche nicht Bürgerinnen und Bürger geschaffen haben, sondern genau jene Parteien und Regierungen, die jetzt dagegen wettern.

Was Sie als Bürgerinnen und Bürger jetzt bis 14.9.2025 tun sollten

Denkmalschutz-sensiblen und archäologie-engagierten Bürgern und Bürgerinnen bietet der aktuelle Kommunalwahlkampf eine sehr gute Gelegenheit, auf ihre Wahlkreiskandidaten und Landtagsabgeordneten – gleich welcher Partei – zuzugehen und zu fragen, wie sie zu dieser Novellierung stehen. Einer Novellierung, die ja nicht nur die Denkmalfachbehörden erneut beschneidet, sondern auch den Einfluss der Kommunen, die bislang als Untere Denkmalschutzbehörde wesentlich in die Verfahren eingebunden sind, erheblich beschneiden will. Wer das Thema jetzt aktiv anspricht, hilft dabei, dass es sich in den Köpfen der Politikerinnen und Politiker verankert. Noch ist die Milch nicht verschüttet: Der vorliegende Text ist ein Papier der Landesregierung (CDU, GRÜNE), die Beratungen im Parlament stehen noch aus.

Fragen Sie Ihren Kandidaten / Abgeordneten (am besten schriftlich) mit Bezug auf das Gesetzesvorhaben "MMV 18/4072":

·       Warum Denkmalschutz gleichermaßen für alle gilt, künftig nur nicht für das Land? Was sind die konkreten Begründungen?

·       Warum die Ministerin persönlich Objekte und Flächen aus dem Denkmalschutz herausnehmen können soll? Und warum ohne für Bürgerinnen und Bürger transparentes Verfahren?

·       Wo diese Ministerentscheidungen nachprüfbar dokumentiert werden?

So finden Sie ihre Wahlkreiskandidaten und Landtagsabgeordneten: Die Website des Landtags Nordrhein-Westfalen bietet eine Abgeordnetensuche mit umfassenden Filtermöglichkeiten. Sie können suchen nach Wahlkreis, Wahlbezirk, Vornamen, Nachnamen, Beruf, Fraktion usw. Zusätzlich gibt es eine Wahlkreiskarte, über die Sie Ihren Wahlkreis per interaktiver Auswahl finden und den direkt gewählten Abgeordneten angezeigt bekommen. Ideal, wenn Sie zielgerichtet wissen wollen, wer Sie im Landtag vertritt.

Gerne können Sie Antworten, die Sie erhalten haben, zur Kenntnis an Diese E-Mail-Adresse ist vor Spambots geschützt! Zur Anzeige muss JavaScript eingeschaltet sein. übermitteln.

 

Quellen, Materialien

Referentenentwurf "Drittes Gesetz zur Änderung der Landesbauordnung 2018 und weiterer Vorschriften im Land Nordrhein-Westfalen" (Landtag NRW, Vorlage 18/4072 vom 11.7.2025): https://www.landtag.nrw.de/portal/WWW/dokumentenarchiv/Dokument/MMV18-4072.pdf

Abgeordnetensuche (Landtag NRW): https://www.landtag.nrw.de/home/der-landtag/abgeordnete-und--fraktionen/die-abgeordneten/abgeordnetensuche.html

Bau und Liegenschaftsbetrieb NRW: https://www.blb.nrw.de/blb-nrw

Stellungnahmen

Deutsche Stiftung Denkmalschutz: "21.08.2025: Denkmale in NRW verlieren ihren Schutz. Deutsche Stiftung Denkmalschutz alarmiert über den Vorstoß der Landesregierung": https://www.denkmalschutz.de/pressemeldung/denkmale-in-nrw-verlieren-ihren-schutz.html

ICOMOS Deutschland: "ICOMOS.DE bezieht Stellung zur geplanten Novellierung des Denkmalschutzgesetzes NRW" (22.8.2025): https://www.icomos.de/icomosde-bezieht-stellung-zur-novellierung-des-denkmalschutzgesetzes-nrw_a_457.html

Westfälischer Heimatbund warnt vor weiterem Abbau des Denkmalschutzes" (Westfälischer Heimatbund, 22.8.2025): https://www.whb.nrw/de/presse/pressemitteilungen/pressemitteilung-abbau-des-denkmalschutzgesetzes/ 

"Vereinigung der Denkmalfachämter in den Ländern kritisiert geplante 3. Novellierung des Denkmalschutzgesetzes in NRW" (VDL, 22.8.2025): https://www.vdl-denkmalpflege.de/aktuelles/aktuelles-detail?tx_news_pi1%5Baction%5D=detail&tx_news_pi1%5Bcontroller%5D=News&tx_news_pi1%5Bnews%5D=313&cHash=c0b7698fbf67f001db7bd78c6487ca16 

Rheinischer Verein für Denkmalschutz und Landschaftspflege e.V.: "RVDL fordert Landesregierung zur Umkehr auf – Denkmale in NRW schützen" (25.8.2025): https://www.rheinischer-verein.de/rvdl-fordert-landesregierung-zur-umkehr-auf-denkmale-in-nrw-schuetzen/

"Viele NRW-Denkmale könnten ihren Schutz verlieren! Das Denkmalschutz-Bündnis NRW sagt STOPP zur aktuellen Gesetzesinitiative der Landesregierung" (Interessengemeinschaft Bauernhaus e.V., 25.8.2025): https://denkmalschutz-erhalten.nrw/wp-content/uploads/2025/08/PM-Interessengemeinschaft-Bauernhaus-Landesbauordnung-NRW.pdf 

Protest gegen die Novellierung der Landesbauordnung NRW 2025: Denkmalbündnis NRW formiert sich erneut (Denkmalschutzbündnis Nordrhein-Westfalen, Aug. 2025): https://denkmalschutz-erhalten.nrw/protest-gegen-die-novellierung-der-landesbauordnung-nrw/  

Pressespiegel

"Zerbombt NRW seine Denkmäler? Neues Gesetz alarmiert Verbände" (WAZ, 25.8.): https://www.waz.de/kultur/article409813161/zerbombt-nrw-seine-denkmaeler-neues-gesetz-alarmiert-verbaende.html

J. M. Kron: "Wenn der Kölner Dom zum Notquartier wird" (restauro.de, 1.9.): https://www.restauro.de/wenn-der-koelner-dom-zum-notquartier-wird/

"Denkmalschützer sind alarmiert" (Westfalenspiegel, 4.9.): https://www.westfalenspiegel.de/denkmalschuetzer-sind-alarmiert/ 

 

Stand: 4. Sept. 2025